„EIN GESCHLOSSENES HÖREN NACH AUSSEN“ Interview „Szene HamburgMusik“
Posted on 5. Februar 2014 in Allgemein — Share this via

„EIN GESCHLOSSENES HÖREN NACH AUSSEN“
Interview in „Szene HamburgMusik“ zum Thema WUNDERKIND FLUCH UND SEGEN von Sören Ingwersen
Ein geschlossenes Hören nach außen
Die Hamburger Regisseurin und Autorin Nina Kupczyk kann Töne sehen und Worte schmecken. In der Schule fiel sie schon früh auf. Spätere Tests diagnostizierten eine Höchstbegabung
hamburgmusik: „Des Kindes Mozart@sotto voce.in der Nacht“, „Amadeus Superstar“ oder „Urmozart“ – Wolfgang Amadeus Mozart taucht als Figur in deinen Inszenierungen immer wieder auf. Warum?
Nina Kupczyk: Ich versuche darauf aufmerksam zu machen, dass mit dem Thema Hochbegabung viel Missbrauch getrieben wird. Weshalb war Mozart so faszinierend? Weil er andere Denkwege in Form musikalischer Vorstellungskraft ging und dadurch anders war, gepaart mit einer motorischen, neurobiologischen Veranlagung, die ihm ermöglichte, schon im Alter von vier Jahren als Solist mit einer ausgereiften musikalischen Technik auftreten zu können.
hamburgmusik: Dieses Anderssein kennst du auch aus eigener Erfahrung?
Nina Kupczyk: In der Schule fiel ich auf, weil ich andere Lösungsansätze nutzte, schneller im Auffassen war, und mich für andere Themen interessierte, als die anderen. Ich habe Geige gespielt, Ballett getanzt und schon eigene Gedichte und Theaterstücke geschrieben und umgesetzt. In Mathematik z.B. bin ich zu den richtigen Ergebnissen gelangt, aber nicht auf den vorgegebenen Wegen. Das haben die Lehrer nicht verstanden und mir vorgeworfen, ich würde abschreiben. Ich habe mich auch für ungewöhnliche Themen interessiert und in der vierten Klasse einen Vortrag über die Opferproblematik von Jesus Christus gehalten. Einige dachten, meine Eltern hätten mit das eingeredet. Mit 19 Jahren habe ich, ohne dass ich etwas über das Thema Hochbegabung wusste, den Roman „Der Lehrer und das Wunderkind“ geschrieben. Herr Prof. Heubrock von der Universität Bremen aus Bremen ist auf das Buch aufmerksam geworden, hat mich eingeladen und gesagt, ich sei hochbegabt. Dann habe ich mich – obwohl mir die Entscheidung nicht leicht fiel –entsprechenden Tests unterzogen.
hamburgmusik: Was kam dabei heraus?
Nina Kupczyk: Die Normalverteilungskurve für den Intelligenzquotienten reicht von 50 bis 160. Bei 50 ist man geistig behindert, ab 130 hochbegabt, ab 150 höchstbegabt. Weil es bei 140 einen sogenannten Deckeneffekt gibt, ist mein IQ nicht mehr messbar. Man schätzt ihn auf 150. In diesem Bereich liegen ungefähr 4 Prozent der Menschen weltweit.
hamburgmusik: Was bedeutet das für den Alltag und für dein Leben?
Nina Kupczyk: Dieser Wert ist eine Zahl, mehr nicht. Er spielt in meinem Leben keine Rolle, außer, dass er eine Erklärung bieten kann für mein Gefühl in der Kindheit, anders zu sein, als andere. Ich sehe mich deswegen aber nicht als besseren Menschen und muss mir meinen Weg genauso erkämpfen, wie andere.
hamburgmusik: Dabei würde man doch eigentlich glauben, einem hochbegabten Menschen stünden alle Türen offen.
Nina Kupczyk: Hochbegabung weckt bei anderen Menschen die Erwartungshaltung, dass einem alles einfach so zufliegt und man eine große Karriere macht. Das ist nicht zwangsläufig der Fall. Hochbegabung bedeutet nicht automatisch höher, schneller, besser. Ich habe auch durchaus Vorbehalte gegenüber Hochbegabtenschulen, in denen es darum geht zu separieren und eine Elite zu formen. Vor dem Hintergrund unserer deutschen Vergangenheit müssen wir das Thema anders reflektieren. Wenn ich ein Kind hätte, das hochbegabt wäre, würde ich mir große Sorgen machen.
hamburgmusik: Wie reagieren andere Menschen auf deine Hochbegabung?
Nina Kupczyk: Viele sind von meiner Intensität begeistert. Ich habe einige intensive Beziehungen und kreative Freundschaften, mit denen ich mich austausche. Meine Begabung gibt mir die Möglichkeit, manchmal weiter zu sehen und dadurch anderen Menschen etwas zu geben. Es gibt aber auch Leute, von denen man es gar nicht erwartet, die oft sagen, sie seien überfordert mit dem, was ich sage. Oder man versteht mich nicht. Neid gibt es manchmal leider auch, wobei ich das nicht wirklich nachvollziehen kann. Ich arbeite ja sehr viel für das, was ich erreiche.
hamburgmusik: Welche Rolle spielt die Hochbegabung für deine Arbeit?
Nina Kupczyk: Keine, außer, dass ich sehr schnell den Überblick für das Ganze habe.
hamburgmusik: Du bist aber nicht nur höchstbegabt, sondern auch Synästhetikerin. Das heißt, bei einem Sinnesreiz werden bei dir automatisch alle Sinne gleichzeitig angesprochen. Wie hat man sich das vorzustellen?
Nina Kupczyk: Die Noten und Buchstaben sehe ich bunt und wenn ich zum Beispiel das Wort „Glory“ höre, sehe ich eine untergehende Kupfersonne mit heruntertropfendem Zitronenaroma. Und bei dem Glas Wasser, das hier vor mir steht, sehe ich viereckige Bullaugen, … die herüberklappen … Eigentlich fehlt mir die Sprache, das genau zu beschreiben. Wenn ich das Wasserglas körperlich darstellen müsste, wären das dreißig Tänzer in einer Reihe, die einen großen Arm bilden und eine große Wellenbewegung vollführen.
hamburgmusik: Über solche Bilder musst du als Regisseurin also gar nicht lange nachdenken?
Nina Kupczyk: Nein, das fällt mir einfach so aus dem Kopf. Wie auf Knopfdruck.
hamburgmusik: Wenn wir uns in zwei Monaten wiederträfen, würde das Wasserglas dann dieselben Eindrücke hervorrufen?
Nina Kupczyk: Man muss zwischen einer genuinen Synästhesie und einer Gefühlssynästhesie unterscheiden. Ich habe beides. Der Zitronengeschmack bei dem Wort „Glory“, die rote Farbe bei dem Ton „a“ oder die Farben der Wochentage sind konstante, genuine Synästhesien. Wenn aber Emotionen hinzukommen, verändert das auch den synästhetischen Eindruck.
hamburgmusik: Ist es nicht enorm anstrengend, ständig all diese Eindrücke verarbeiten zu müssen?
Nina Kupczyk: Ich kenne es ja nicht anders. Wenn ich mir vorstelle, dass andere Menschen ohne diese Wahrnehmungen leben, denke ich, das muss ziemlich langweilig sein. Ich habe meinen ganz persönlichen Rausch und muss nicht einmal LSD dafür nehmen (lacht). Das Erleben kann allerdings sehr intensiv sein und das merken bei der künstlerischen Arbeit dann auch die Anderen. Ich muss immer schauen, was ich meinem Gegenüber zumuten kann. Meine Fähigkeit, mich in andere Menschen hinein zu versetzen, ist aber sehr groß. Auch das verdanke ich der Synästhesie, weil sie mir ermöglicht, Dinge intuitiv zu erfassen.
hamburgmusik: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Hochbegabung und Synästhesie?
Nina Kupczyk: Sie treten oft gemeinsam auf, weil das hochbegabte Gehirn einfach eine andere Struktur hat. Auswendiglernen ist für mich zum Beispiel überhaupt kein Problem, weil ich durch das bildliche Gedächtnis alles zeilenweise abrufen kann. Ich habe Wege im Kopf, die ich abgehe. Die eigentlichen Inhalte merke ich mir über Bilder, die eine Farbe und einen bestimmten Platz haben. Oft sind es auch Klänge, über die ich mich an etwas erinnere. Klänge sind für mich auch Bewegung. Die Erde bewegt sich, deshalb habe ich manchmal das Gefühl, dass die Erde klingt und es Strukturen gibt, die man spürt. Das Horchen ist nicht ein Hören von Tönen, sondern ein inneres Hören, das mit dem Tastsinn zu tun hat, ähnlich wie bei Taubstummen, die mit ihren anderen Sinnen „hören“ können. Ich nenne das ein geschlossenes Hören nach außen. Synästhesie ist vielleicht eine Art sechster Sinn, der im Laufe der Evolution verlorengegangen ist. Für einige Menschen ist das Esoterik. Für mich nicht. Es gibt da noch eine andere Welt, die wir vielleicht vergessen haben, die aber in der Oper wieder zum Vorschein kommt. Dort gibt es viele intuitive, archaische Momente, etwa bei Wagner oder auch in der Musik Bachs.
hamburgmusik: Was verbindest du mit dem Begriff „Wunderkind“?
Nina Kupczyk: Ein „göttliches Kind“, das auf die Erde kommt und Großartiges offenbart. Diese Vorstellung wird medial ausgenutzt. Auch mich begleitet die ständige Angst, dass mein Talent ausgenutzt wird, dass ich permanent die hohen Erwartungshaltungen erfüllen soll und wenn ich nicht mehr kann, einfach weggeworfen werde. Viele erfolgreiche Künstler haben das Problem, dass sie Bewunderung mit Liebe und echtem Interesse am Menschen verwechseln. Bei Wunderkindern ist diese Gefahr besonders groß. Wenn sie irgendwann keine Kraft mehr haben und sich ausruhen müssen, werden sie fallengelassen, wie Michael Jackson– oder Mozart
Das Interview führte Sören Ingwersen