Posted on 30. Januar 2023 in Allgemein — Share this via

BÜHNEN HALLE Wie die Autorin und Regisseurin Nina Kupczyk den Komponisten aus
dem Mythos um sein Genie hervortreten lässt – gleich in dreifacher Gestalt.
VON ANDREAS MONTAG
HALLE/MZ – Seinen Mozart kennt man natürlich. Aber ob es auch der richtige ist? Früh vollendet, jung gestorben. Einer, der als Kinderstar die Mächtigen seiner Zeit in helles Entzücken versetzte und der österreichischen Kaiserin Maria Theresia auf den Schoß hopste. Ein Zampano auf dem Klavier und grandioser Komponist, der sich in putzig-derben Briefen an „das Bäsle“, seine Cousine Maria Anna Thekla, als „Sauschwanz“ titulierte, der „wircklich schon bald 22 Jahr aus dem nemlichen Loch“ scheißen würde. War das infantil oder war es Punk? Die renommierte Autorin und Regisseurin Nina Kupczyk hat sich wiederholt mit Mozart beschäftigt, am halleschen Opernhaus inszenierte sie im Jahr 2020 „Don Giovanni“. Nun zeigt sie in der Kammer des neuen theaters Halle „Amadeus Superstar“, eine dramatische Revue, die einen nach mehr als zwei Stunden Spieldauer womöglich ein bisschen erschöpft, aber auch äußerst angeregt in die Nacht entlässt.
Komplexer Text
Kupczyk, die ihrem famosen Ensemble viel abverlangt, spielt mit ihrem komplexen Text simultan auf mehreren Feldern: Zeitgeist, Mythos und Starkult werden verhandelt, es geht um Politik, Philosophie, politische Korrektheit und die Stereotype, mit denen sie einher geht, Feminismus, Machtmissbrauch – und um das Theater selbst mit seinen Arbeitsbedingungen. Eine ganz schöne Packung! Intelligente Zeitgenossenschaft wie kritische Teilhabe sind
angesagt. Dabei geht es durchaus sinnlich zu, mitunter auch verrückt, wenn ein riesiges Federvieh die Szene unsicher macht.
Gleich in dreifacher Gestalt ist Amadeus, das Wolferl, auf der Bühne. Das hat seine Logik: Spielt Franziska Hayner das Kind, das der Wunderknabe nicht sein durfte, gibt Enrico Petters den gereiften Mozart in einem Alter, das der Meister nicht erreichte. Und Matthias Walter ist der Rebell in rockiger Anmutung. Die Drei aus der Klassik-Abteilung machen ihre Sache sehr gut, sie sehen auch überzeugend aus in den verfremdeten Rokoko-Kostümen von Jenny Schall. Und wer gerade nichts zu sagen hat (oder nicht gefragt wird), tritt in transparente Spinde zurück auf Nicolaus-Johannes Heyses zweckmäßig karg eingerichteter Bühne.
Der zynische Showmaster Colloredo (Hagen Ritschel) weist dem Nannerl, Mozarts
Schwester, drastisch und sexistisch ihre Rolle als Gebärerin zu.
Um die Deutungshoheit in Sachen Mozart konkurrieren zwei Herren mit rabiatem Machtanspruch. Beide sind Mozart-Vermarkter und liegen im Streit miteinander. Till Schmidt in Bestform tritt als Leopold an, Vater von Wolfgang Amadeus und dessen älterer Schwester Maria Anna, dem Nannerl. Die wird von Judith Mahler als gleichermaßen verletzliche wie starke Person derart überzeugend verkörpert, dass es nur Hartgesottenen nicht zu Herzen gehen sollte. Und Leopolds Gegenspieler Colloredo, der skrupellose Showmaster und zynische Verführer, der alles im Griff zu haben scheint, wird in Hagen Ritschels mitreißendem Spiel so authentisch, dass einem dabei schon mal der Atem stocken kann.
Breitseite gegen das Stück
Da gibt es auf einmal wütende Tiraden, eine volle Breitseite gegen das Stück, den eigenen Betrieb, die Regisseurin sowie den Intendanten – alles in einem Rutsch.
Und schließlich bekommen sogar die maskierten Voyeure, mit Angehörigen des Jugendchors der halleschen Oper tadellos besetzt, ihr Fett weg. So kann man sich der Aufmerksamkeit des Publikums zusätzlich vergewissern, das allerdings schon gemerkt haben wird, hier zu mehr als zum gefälligen Zuschauen gebeten zu sein.
Nina Kupczyk stellt ihren Mozart vor Bilder aus der bunten Welt trivialer Fernsehunterhaltung. Konfrontiert mit Schlagersendungen und Model-Shows soll sich der Genius zeitgemäß durchsetzen – so will es jedenfalls Colloredo, der alles und alle durch den Marketing-Fleischwolf dreht. Was mit der Einspielung von schrägen Klängen beginnt, wie man sie vom Stimmen der Instrumente vor einer Opernaufführung kennt, endet mit einer fetten Dissonanz. Max van der Rose hat diesem halleschen Schauspiel den passenden Sound verpasst. Was aber das Schönste ist:
Neben die Geschichte des hochbegabten, vom Vater auf unbedingten Erfolg getrimmten und um seine Kindheit gebrachten Amadeus, ist ebenbürtig die Tragödie des Nannerl gestellt, seiner Schwester. Sie war talentiert wie er, aber eben „nur“ ein Mädchen.
Am Ende wird sie das steife Spitzenkleid ablegen und sich selbst zur Würde ermächtigen.
Ein starker, wahrhaftiger Abend.