Don Giovanni
Posted on 12. Mai 2021 in Allgemein — Share this via

„Schönheit, Gewalt, Bestalität, Verletzbarkeit – und das alles sind wir“
Zwei junge Frauen —
Marianne Beyer ist FSJlerin in der Musiktheaterdramaturgie und Anna Sophie von Mansberg studiert in Leipzig Dramaturgie treffen die Autorin und Regisseurin
Nina Kupczyk zu einem Gespräch über Männlichkeit und das Rätsel Don Giovanni.
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Don Giovanni wird als „Oper aller Opern“ bezeichnet — Wie verführerisch ist die Musik für dich?
NINA KUPCZYK:
Wie bei Mozart eigentlich immer haben wir eine Oberfläche der Heiterkeit. Und dann liegt etwas darunter. Da muss man sehr genau hinhören, denn das sind eigentlich die Schnittstellen, bei denen es in die Tiefe geht. Das Verführerische ist diese Oberfläche, und wenn du nicht genau zuhörst, ist es eine alberne Verkleidungsklamotte. Das hat ganz viel mit der Person Mozarts zu tun: Er musste eben das Wunderkind sein und erst mal befriedigen, was die Gesellschaft hören wollte. Aber er hat sich ein paar kleine Falltüren gebaut und dort das Düstere erzählt. Zum Bei- spiel beginnt die Musik mit dem Don-Giovanni-Akkord und der klingt brutal. Und die Rezitative, dieses ständige Plappern ist eigentlich der Ausdruck von Maßlosigkeit. Das ist Mozart, das ist das Genie. Er komponiert Schönheit, Gewalt, Bestialität, Verletzbarkeit, Sehnsucht — und das sind alles wir. Was wir oft nicht rauslassen dürfen. Aber er lässt es raus: Stellvertretend für unsere Wünsche, die nicht sein dürfen!
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Was ist dein Blick als Frau auf diese Oper?
NINA KUPCZYK:
Ich kann eigentlich überhaupt nicht sagen, was mein Blick als Frau darauf ist. Ich finde es generell schwierig zu sagen, was „das Weibliche“ oder „das Männliche“ ist. Mein Blick auf diese Inszenierung ist eigentlich, dass ich die Chance habe zu zeigen, was aus meiner Sicht heute wichtig ist zu erzählen.
Don Giovanni ist eine Figur des Rätselhaften. Wir laden das Publikum in dieser Inszenierung ein, sich auf das Rätsel einzulassen. Und er ist auch eine Figur der Angst, ein Schatten.
Die ständige Frage in dieser Inszenierung ist: Wann wird Don Giovanni konkret und wann verführt er allein über die Phantasie der anderen, wann verführt er allein psychologisch? Jede Figur, der wir in der Oper begegnen, hat einen Punkt, an dem sie verführbar ist, hat eine Schwäche, und da setzt Don Giovanni an. Wir erzählen die großen Sehnsüchte, die durch ihn aktiviert werden.
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Wir haben es hier mit einem stark ambivalenten männlichen Protagonisten zu tun, einem Verführer. Warum fasziniert uns diese Figur?
NINA KUPCZYK:
Die Faszination des Bösen ist ja ein großes Thema, hier liegt sie im Verborgenen. Die Ängste entstehen, weil etwas verborgen ist, das wir nicht rational erklären können. Und die Faszination der Figur Don Giovanni liegt auch darin, dass sie grenzenlos etwas auslebt, das wir vielleicht alle einmal ausleben wollen — im Guten wie im Bösen. Wir haben alle eine Schattenseite, die Frage ist aber: Wann bricht sie sich Bahn?
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Du bist auch Psychologin. Würdest du Don Giovanni gern mal therapieren?
NINA KUPCZYK:
Ja! Oh ja! Großartig! Ich habe in der Forensik gearbeitet, das heißt, ich habe viel mit Menschen gearbeitet, die unvorstellbare Dinge gemacht haben. Und das ist ja eigentlich in uns allen drin. Aber warum gibt es Menschen, die dann konkret ihre Phantasien umsetzen? Don Giovanni verführt dazu, er setzt irgendwo an und es passiert etwas Irrationales mit den anderen Figuren, sie verstehen das selbst gar nicht. Und wir Zuschauenden sind eigentlich die Ärztinnen und Forensiker.
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Wir haben jetzt viel zur Figur Don Giovanni erfahren, aber was ist denn mit den Frauen in der Oper? Die haben ja wahrscheinlich auch sehr spannende psychologische Aspekte?
NINA KUPCZYK:
Donna Anna ist für uns die Figur, die das größte Rätsel ist, und zwar deswegen, weil
am Anfang nicht klar ist, was genau zwischen ihr und Don Giovanni passiert ist und ob sie den Mord an ihrem Vater bewusst miterlebt. In der Partitur steht: Sie geht ins Haus, der Rest bleibt im Dunkeln. In jedem Fall ist sie eine Frau, die traumatisiert ist, und die über dieses Trauma immer wieder Macht ausübt. Sie kann ihr Leid nicht loslassen und darüber übt sie Macht aus, gerade über Don Ottavio.
Zerlina ist eine zentrale Figur, weil sich an ihr eigentlich die widerlichste Macht Don Giovannis zeigt, das Ausgesetzt-Sein. Aber eben auch die Entscheidung zur Liebe. Sie zeigt uns den Unterschied zwischen Liebe und Sex. Und zwar durch das Finden von Geborgenheit.
Donna Elvira ist auch eine ganz krasse Figur mit starken Sehnsüchten, und die sind nicht erfüllt worden. Sie ist die Einzige, die Don Giovanni auch als den verzweifelten Menschen sieht, der er ist. Und sie ist die einzige Figur, die Don Giovanni wirklich liebt, so dass sie bis zum Schluss an seine echte Liebe glauben will.
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Was sind denn deine Erfahrungen mit Männlichkeit und Weiblichkeit in der Institution Oper?
NINA KUPCZYK:
Ich sage immer: Wenn ich Angst hätte, dann würde ich so einen Beruf gar nicht machen. Gerade als Frau. Du bist eine starke Führungsperson, weil du in festen Hierarchien arbeitest. Aber ich vertraue darauf, dass alle wissen, warum sie diesen Beruf machen und da setze ich an. Ja, ich bin auch als Frau vielen Situationen aus- gesetzt gewesen, in denen auch so eine sexuelle Ebene bei mir versucht wurde. Aber Phantasie hat keine Sexualität. Und deswegen lasse ich mich auf so einen Ouatsch auch gar nicht ein. Dass heute wenige Regisseurinnen arbeiten, liegt nur daran, dass viele männliche Intendanten das Potential und die Kraft von Frauen nicht sehen.
MARIANNE BEYER/ANNA SOPHIE VON MANSBERG:
Wie arbeitest du als Regisseurin?
NINA KUPCZYK:
Ich finde, es hat ganz viel mit guter Regie zu tun, zu beobachten wo etwas entsteht und daraus etwas zu bauen. Das ist auch meine Eigenheit und mein Weg als Regisseurin mit Sänger*innen zu arbeiten. Ich gucke: Wo ist die Individualität der Singenden? Wo sind ihre Eigenheiten?
Da setze ich an und versuche es mit meinen Ideen zusammenzubringen. Manchmal ordne ich meine Ideen auch unter. Ich bin niemand, die alles durchsetzen muss.
Es gibt natürlich eine Hauptverabredung, die mir wichtig ist, aber die wird meist sehr schnell deutlich und auch für alle überzeugend. Aber es gibt auch ganz viele Situationen, in denen ich Freiheiten gebe und sage: Stimmt, mach es mal so, denn du sagst das aus deiner Rolle, das ist wichtig.
Und dann suche ich da einen Weg.
aus Oper Halle/2020 Ausgabe 8