HamburgMusik. Nr. 1 (2013). Interview.

Posted on 14. September 2013 in Allgemein — Share this via

NinaKupczyk_DerAkkorddesLebens_HamburgMusik

hamburgmusik: Frau Kupczyk, warum interessieren Sie sich als junge Regisseurin für die Themen Tod und Vergänglichkeit?

Nina Kupczyk: Ich komme aus einer sehr musikalischen Familie. Mein Vater war 46 Jahre Konzertmeister des Philharmonischen Staatsorchesters Bremen, und ich bin früh mit der Oper in Kontakt gekommen, wo die Themen Tod und Vergänglichkeit natürlich eine große Rolle spielen. Ich habe angefangen, Gedichte zu schreiben, weil ich den Moment festhalten wollte, etwa einen schönen Sonnenuntergang. Der Schmerz, dass etwas vergeht, der Wunsch, etwas festzuhalten, ist der Urmechanismus meiner künstlerischen Tätigkeit.

hamburgmusik: Um diesen Schmerz geht es auch in „Vanitas_Everyman“.

Nina Kupczyk: Und um das Streben nach Glück, die Suche nach dem Paradies. Die drei Figuren im Stück zeigen eine Person in unterschiedlichen Lebensabschnitten: Für das Kind ist das Paradies noch greifbar, es macht sich keine Gedanken darüber. Der 50-jährige Mann hat schon erste Zweifel, ob seine Erwartungen an das Leben sich bisher erfüllt haben, aber er kämpft noch und versucht festzuhalten, was er erreicht hat. Dann gibt es noch den alten Mann, der sich damit abgefunden hat, dass nicht alle seine Wünsche in Erfüllung gegangen sind, der gelernt hat loszulassen. Für jede der drei Figuren hat das Paradies eine andere Bedeutung.

hamburgmusik: Welche Rolle spielt die Erinnerung in diesem Streben nach Glück?

Nina Kupczyk: Erinnerungen sind ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann. Sie bringen uns eine unschuldige Welt zurück aus der Zeit vor der Erfindung des Todes, heißt es bei Philip Roth.

hamburgmusik: Aber in die Erinnerung des Protagonisten hat sich schon früh der Tod eingeschrieben.

Nina Kupczyk: Als Kind hat er im Krankenhaus miterlebt, dass im Bett nebenan wahrscheinlich ein gleichaltriger Junge gestorben ist. Diese erste Konfrontation mit dem Tod wird als eine Art Trauma ständig repetiert.

hamburgmusik: Auf der einen Seite haben wir die sehr direkten, lebensnahen Szenen von Philip Roth. Ein häufig zitierter Satz aus seinem Roman lautet: „Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker“. Auf der anderen Seite hören wir die sehr ruhige, reduzierte Musik von Salvatore Sciarrino. Der Mezzosopran von Jo Loeb scheint mit Akkordtupfern des Klaviers und filigranen Celloklängen in ein Echo aus dem Jenseits eingespannt. Wie passen diese beiden Teile zusammen?

Nina Kupczyk: Obwohl Sciarrinos Musik keine Handlungsmusik ist, bietet sie viele Ausdrucksmöglichkeiten für das Theater. Sie hat das Potenzial, den Zuhörer für eine andere Zeitlichkeit zu sensibilisieren, eine Langsamkeit, die vergleichbar ist mit dem Vorgang des Sterbens. Die Stille der Musik wirkt sich natürlich auch auf die Figuren aus. Es gibt zwar einige Szenen, die für Opernverhältnisse extreme emotionale Zustande zeigen, aber ich inszeniere nicht den Schrecken des Todes. Die Musik verbietet brutale Bilder.

hamburgmusik: Wie kann der Mensch mit diesem Schrecken leben?

Nina Kupczyk: Nach Erich Fromm besteht der Widerspruch des Lebens darin, dass der Mensch um seine Sterblichkeit weiß, aber trotzdem lebt. Es ist seine seelische Aufgabe, sich mit diesem Widerspruch auseinanderzusetzen, etwa mithilfe der Religion oder der Psychologie und der Kunst. Für Fromm ist die Beschäftigung mit dem Tod die Voraussetzung, ein intensives Leben führen zu können.

hamburgmusik: Worin besteht die Voraussetzung für ein intensives Musiktheater? Welchen Stellenwert hat das darstellerische Moment für Sie?

Nina Kupczyk: Einen sehr hohen. Ich habe als Kind viel getanzt. Deshalb geht die Musik bei mir direkt durch den Körper. Dieses Verhältnis kann man als Regisseur natürlich auch aufbrechen. Ich bin aber immer erstaunt, wenn Kollegen völlig losgelöst von der Musik inszenieren. Musik ist Ausdruck. Musik ist Theater.

hamburgmusik: Sie sind eine sehr vielseitige Künstlerin. Sie inszenieren Sprech- und Musiktheater, drehen Filme, schreiben Lyrik und Prosa. Bilden all diese Tätigkeiten für Sie eine Einheit, oder stehen sie unverbunden nebeneinander?

Nina Kupczyk: Für mich läuft in der Opernarbeit alles zusammen: Musik, Texte, Farben, Tanz … Die Oper ist der Akkord der Gleichzeitigkeit des Lebens.

Das Interview führte Sören Ingwersen für HamburgMusik Nr.1 2013.

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