Musikalische Leitung: Rupert Burleigh Inszenierung: Nina Kupczyk Bühnenbild und Kostüme: Pascal Seibicke Konzept und Dramaturgie: Francis Hüsers, Kerstin Schüssler-Bach
Rebecca Jo Loeb (Mezzosopran), Markus Tollmann (Violoncello), Rupert Burleigh (Klavier), Frank Jordan und Michael von Rospatt (Schauspieler)
»Erinnerungen bringen uns eine unschuldige Welt zurück, aus der Zeit vor der Erfindung des Todes«, heißt es in Philip Roths »Jedermann«. Motive aus dem Roman des amerikanischen Autors werden in der neuen »Black Box«-Produktion mit der traumverlorenen Musik von Salvatore Sciarrino kombiniert. Ein Abend über die Beständigkeit der Vergänglichkeit.
Eine andere Zeitlichkeit „Vanitas_Everyman“ nach Salvatore Sciarrino und Philip Roth in der Opera stabile Vergänglichkeit ist der Musik von Salvatore Sciarrino eingeschrieben. Der klangsensible Sizilianer spürt der Stille und dem Verstummen nach. Und trotzdem vibrieren seine Werke vor innerer Spannung: in einem intensiven Nachlauschen der Übergänge zwischen Singen und Schweigen. Mit dieser ganz eigenen Poetik der Töne ist Sciarrino einer der erfolgreichsten Theaterkomponisten der Neuen Musik, der gerade an deutschen Bühnen großen Publikumszulauf hat.
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»Vanitas« »Vergänglichkeit, Nichtigkeit« heißt Sciarrinos Kammerstück von 1981: ein suggestives Stilleben für Mezzosopran, Cello und Klavier, eine Meditation über Sinnbilder aus dem Fundus der Barocklyrik. Vanitassymbole wie die welkende Rose, die erlöschende Kerze oder das Verrinnen der Sanduhr demonstrierten im Zeitalter des Barock die unauflösliche Verbundenheit von Schönheit und Verfall. Das Leben als flüchtiger Hauch, das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit wohnen der barocken Kunst als Grundgefühl inne. In Sciarrinos fragiler Musik, die tief im Gedächtnismagazin der Kunstgeschichte wurzelt, ist diese Nachdenklichkeit sanft aufgehoben. Nach dem erfolgreichen Start der »Black Box«-Reihe mit Musik von Aribert Reimann und Lyrik von Sylvia Plath treffen nun im zweiten Projekt wiederum Musik und Texte der Gegenwart aufeinander. Im Kontrast liegt die Ergänzung das gilt auch für die fast esoterische Komposition von Sciarrino und den ungeschönten Realismus von Philip Roth. Der amerikanische Bestseller-Autor, immer wieder als Nobelpreiskandidat gehandelt, beschäftigt sich in unsentimentalen Beobachtungen mit dem Kampf gegen die Sterblichkeit, mit dem Altern und dem Verlust sexueller Attraktion. Auch sein Roman »Jedermann« (»Everyman«) ist von diesen Motiven durchzogen. So graben sich die Reflexionen eines Mannes über sein verrinnendes Leben, seine abgelegten Lieben, die Träume und Ängste seiner Kindheit in Sciarrinos Tableau als Widerhaken ein und ergeben in der »Black Box« der Opera stabile ein neues Stück. Fragmente aus Roths Roman arbeitete Operndirektor Francis Hüsers zu einem textlichen Szenario um, in dem sich drei Lebensalter des Mannes wie Splitter zusammenfügen. Ein junges Regieteam stellt sich mit »Vanitas_Everyman« vor. Regisseurin Nina Kupczyk, Absolventin der Musiktheaterakademie, hat in der Opera stabile bereits ihre Diplominszenierung von Ullmanns »Kaiser von Atlantis« gezeigt. Jüngst brachte sie ihr Stück »Urmozart« im Monsun Theater als »bemerkenswert dicht gearbeitete Theaterfantasie« (Hamburger Abendblatt) gemeinsam mit ihrem Ausstatter Pascal Seibicke heraus. Nina Kupczyk vertraut der »anderen Zeitlichkeit« von Sciarrinos Musik: »Sie hat in ihrer Reduktion eine starke Ausdrucksfülle, die ich sensibel behandeln will. Diese besondere Spannung muss theatral aushaltbar werden.« Das Szenario um Roths alternden Mann und seine Rückblicke auf die Kindheit reichert die Regisseurin mit eigenen Assoziationen an: »Momente, die Sehnsucht nach Geborgenheit und Trost ausdrücken. In der Beschäftigung mit Selbstbildern stellt sich die Frage nach der Erfüllbarkeit der Sehnsüchte. Was passiert, wenn das Gewünschte nicht eintrifft? Was bedeutet Endlichkeit? Lässt sich der Zustand des Wartens mit Sinn füllen? Wie akzeptiert man den Tod?«, fragt Nina Kupczyk. »Erinnerungen«, heißt es in Roths Roman, »bringen uns eine unschuldige Welt zurück, aus der Zeit vor der Erfindung des Sterbens.« | Kerstin Schüssler-Bach
(…) „findet Regisseurin Nina Kupczyk zu einer andeutungsreichen, entschleunigten Bühnensprache.“ (…)
Godot, Das Theatermagazin, 23.4. 2013
(…) „Nina Kupczyk zeigt mit “Vanitas_Everyman” kluges, sinnliches Musiktheater. (…) Das mit dunklen Stoffrosen bestickte Kleid der Sängerin, die vom Welken der Rosen singt. Zwei ungemütlich schweigsame Maskenträger, die zu Füßen eines Todgeweihten ihre mit Erde gefüllten Aktenkoffer entleeren. Der bleigraue Ball, den ein stilles Kind und die Sängerin zwischen sich hin und her rollen lassen kurz vorm fatalen Ende, bei dem es zu scheinbar endlos ersterbendem Celloklang nicht nur dem stillen Kind buchstäblich den Hals zuschnürt. Auch manchem Premierenbesucher stockte da der Atem. (…) Kupczyk fügt diese disparaten, dabei erstaunlich gut zueinander passenden Bausteine mit Ruhe und Sicherheit im Denken, Hören, Schauen und Fühlen zueinander. In ihrem Theater der leisen Töne (Rupert Burleigh, Klavier, Markus Tollmann, Cello), der überlegten Bewegungen, der zwingenden Blicke und Gesten führt sie ihre Protagonisten, darunter zwei wunderbar intensiv agierende alte Schauspieler, durch die polychromen Grautöne einer an Dürer erinnernden Melencolia (Bühne und Kostüme: Pascal Seibicke). (…) Der Anfängergeist geht aus diesem kurzen, starken, schweren Stück leicht und beschwingt.“